Kinderbücher rassismuskritisch unter die Lupe genommen
Kein einzelnes Buch führt zu einem rassistischen Weltbild, jedoch können Kinderbücher zusammen mit anderen Sozialisationseinflüssen bedeutsame Puzzlesteine im Erlernen einer Weltsicht sein, in der weiße Menschen Schwarzen überlegen sein sollen und diskriminierende Praktiken legitimiert sind. (Jens Mätschke)
1 | Diskriminierungskritisches/Rassismuskritisches Vorlesen – warum ist das für alle Kinder wichtig?
Kinderbücher:
- sind eine Form von früher Bildung: „Secret Education“ (Fajembola/ Nimindé-Dundadengar) und „Lesesozialisation“ (Mätschke)
- sie fördern emotionale Bildung zwischen vorlesenden Personen und dem Kind
- sie sind „Mirrors, Windows and Sliding Glass Doors“ (Rudine Sims Bishop): Kinder sollen sich selbst wiederfinden (Lebenswelt/Identität/Identifizierung), sie sollen neue Welten kennenlernen und betreten können
- nehmen Einfluss auf Sprache, Bilder und Denken von Kindern. Sie formen ein Verständnis der Welt und den in ihr lebenden Menschen, was die „Norm“ ist, wer dazugehört und wer nicht. Kinder erlernen schon sehr früh Zuschreibungen für gesellschaftliche Gruppen und Hierarchisierungen
- eröffnen (private/berufliche) Möglichkeiten und Denkwelten, zeigen neue Perspektiven, erweitern Verständnis von Differenz und so auch den Blick des Kindes auf sich selbst und andere
- sollen eine kindgerechte, aber reale Welt abbilden
Unterscheidung von Kinderbüchern
- solche, die diskriminierungskritische Perspektiven vermitteln
- problembewusste Kinderbücher, die Gesprächsmöglichkeiten mit Kindern aufzeigen – solche, in denen menschliche Unterschiede ganz natürlich dargestellt werden, ohne überzeichnet zu sein (Hadija Haruna-Oelker)
Aktuelle Kinderbuchlandschaft
- 2013 erschienen rund 8000 neue Kinderbücher
- 95% aller Bücher präsentieren eine heile Kinderwelt als rein weiß und monokulturell, dabei wächst jedes dritte Kinder unter 6 Jahren in einer Familie mit mindestens einer Person of Color bzw. Einwanderungsgeschichte auf
- Zielgruppe weißes Publikum mit weißer Lebensrealität
- Study Centre for Literacy in Primary Education: in nur 10% der Kinderbücher kommen BIPoC-Kinder vor (v.a. in Sachbüchern, Bücher zu sozialer Gerechtigkeit). BIPoc-Kinder werden sehr häufig auf Leid/Kampf reduziert und als fremd konstruiert, viele Bücher mit moralischer Botschaft betreiben Othering, stellen PoC in einer passiven Opferrolle dar und verbinden Aussehen mit Herkunft und Lebensweise
Schwarze Kinder werden durch einseitige Darstellungen oder rassistische Bilder
- verletzt, verunsichert und sie internalisieren rassistische Stereotype
- erfahren eine Abwertung
- es mangelt an Büchern, die das Gefühl vermitteln, dazu zu gehören (z.B. dass es auch Schwarze Deutsche gibt) und am Eröffnen von Möglichkeitsräumen durch Schwarze Vorbilder
Kinder, die nicht von rassistischer Diskriminierung betroffen sind
- erlernen diese und wenden sie auch unbewusst auf andere Kinder an durch Othering oder Stigmatisierung
- erfahren eine Aufwertung
- lernen nur einseitige Realitäten kennen und die Bestätigung ihrer eigenen Welt
2 | Wie erkenne ich rassismussensible/antirassistische Kinderbücher?
- Wer hat das Buch geschrieben? Wer illustriert?
- Werden alle Personen vielfältig und nicht stereotyp dargestellt?
- Ist die Wortwahl wertschätzend?
- Enthält das Buch mehrere Schwarze Personen oder PoC oder erfüllt es eine „Diversitätsquote“?
- Können sich Schwarze Kinder oder PoC in dem Buch in positiver Art wiedererkennen?
- weitere Kriterien sh. Checkliste zur vorurteilsbewussten Einschätzung von Kinderbüchern (ab S. 6)
3 | Was sind kritische Inhalte und wie gehe ich mit diesen um?
Problematische Inhalte erkennen – in Bezug auf Schwarze Menschen und Afrika
- Verallgemeinerung
- Afrika als Land
- die afrikanische Kultur
- Ent-Individualisierung
- Reduzierung
- das afrikanische Dorf, Leben in Hütten, ursprünglich, traditionell
- Savanne oder Dschungel
- keine eigene Geschichte
- kulturelle Errungenschaften und historische Identitäten kommen nicht vor
- Technik, Industrie, Erfindungen werden nicht thematisiert
- Stereotypisierung
- Schwarzen Menschen liegt das Tanzen im Blut, besonders sportlich und musikalisch
- immer fröhlich, arm aber glücklich
- Vielfalt, Brüche und Gegenbilder haben keinen Raum
- Darstellung von Körpern: unproportioniert, große Lippen (oft rosa), breite, überdimensionierte Nasen, große weiße Zähne
- Vereinfachungen und Primitivierung: barfuß, halbnackt, einfachste Kleidung, Schmutz von harter körperlicher Arbeit
- Schwarze Kinder sind xyz weil sie Schwarz sind
- Exotisierung /Fetischisierung/Sexualisierung
- Naturdarstellung, wilde Tiere, die Schönheit, die Wildheit, das Dunkle, das Unbekannte, das Abenteuerliche, das Faszinierende, die Gefahr
- Spiritualität, Naturvölker
- Schwarze Körper sind überaus stark mit Bedeutung aufgeladen (überbordende Sexualität), der afrikanische Mann als Konkurrent, die Schwarze Frau als rassifiziertes Sexualobjekt)
- weiße Dominanz und Rettertum (white savior complex)
- Afrika als Leinwand für Not, Hunger, Kriege, Katastrophen, Mangel
- weiße Menschen helfen, retten, bevormunden, wissen es besser
- the white man’s burden (Zivilisierung)
- Einseitigkeit, Auslassung
Umgang mit problematischen Inhalten oder Stellen im Buch
- rassismuskritischen Blick lernen
- Checkliste verwenden
- andere Namen einbauen: aus Lea wird Oksana, aus Tobias wird Youssef, aus Malte wird Emeka
- weiße Personen mit brauner Hautfarbe colorieren
- einzelne Kapitel zukleben, Erklärungen dazu schreiben
- Weglassen oder einzelne Passagen anders lesen
- wenn problematische Stellen auftauchen: altersgerecht thematisieren
- gemeinsam besprechen was für das Kind gut ist/funktioniert
- Bücher entfernen, wegschmeißen, aufkaufen
- gezielt Bücherwünsche (z. B. in der Verwandtschaft oder Kita/Schule) äußern, um kritische Bücher zu vermeiden
4 | Links
Checkliste zur vorurteilsbewussten Einschätzung von Kinderbüchern (ab S. 6): https://situationsansatz.de/wp-content/uploads/2020/02/Handr_0bis3_12.11.19.pdf
Bilderbuchlisten zu verschiedenen Themen: https://situationsansatz.de/fachstelle-kinderwelten/kinderbuecher
Bücher-Positivliste des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften, Landesverband Bremen, bestellbar unter: http://www.iaf-bremen.de/projekte/afrodeutsch.html, krueger [at] verband-binationaler.de
Bilder im Kopf – Strategien und Medien gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung: https://bilderimkopf.eu
Kimi – das Siegel für Vielfalt: https://kimi-siegel.de
Schreiben Sie so über Afrika!: https://www.belltower.news/schreiben-sie-so-ueber-afrika-eine-anleitung-32358
Modernisierte Kinderbuchklassiker: https://taz.de/Debatte-Korrekte-Kinderbuecher/!5075512
Was ich meinem Kind nicht vorlese: https://www.tofufamily.de/rassismus-sexismus-stereotype-in-kinderbuechern
Chimamanda Ngozi Adichie – The danger of the single story / Die Gefahr der einzigen Darstellung
Kinder müssen sich selbst sehen: https://heimatkunde.boell.de/de/2020/09/17/kinder-muessen-sich-selbst-sehen
Rassismus und Diskriminierung in Kinderbüchern: https://www.soziothek.ch/rassismus-und-diskriminierung-in-kinderbuechern
Rassismus im Lummerland: https://www.deutschlandfunkkultur.de/debatte-ueber-kinderbuch-klassiker-rassismus-im-lummerland-100.html
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